Archäologie wird immer wieder durch Blockbuster inszeniert und gefeiert. Selten jedoch ist von den jungen Nachwuchwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Rede. Sie kämpfen sich meist aussichtslos durch die Institutionen, wie unser wirklich zum Nachdenken anregender Gastbeitrag von Hannah Laurenz zeigt.
von Hannah Laurenz
Ich war nie eine Archäologin mit großen Illusionen oder gar Ansprüchen, doch hatte ich ein festes Bild, eine Vorstellung von dem, was mich im Studium und danach erwarten würde.
Da gab es immer die, die zwar Archäologie studierten, jedoch irgendwann verschwanden – die Gründe für ein solches „Verschwinden“ waren stets vielfältig: Vielleicht war das Studium einfach zu lang, zu aufwändig, zu viele Fremdsprachen nachzuholen. Vielleicht hatte man sich die Archäologie auch einfach glamouröser vorgestellt, weniger dreckig, weniger anstrengend, weniger belastet von Bauarbeiter-Fealing, feuchten Schlafsäcken und Zeltlagern im Nirgendwo. Ja, diese Leute gab es immer. Sie pflegten oftmals bereits während des Studiums zu verschwinden oder konnten unter Umständen noch unter heroischer Anstrengung einen mäßigen Abschluss erringen.
Nachwuchswissenschaftler zwischen Idealismus und Realität
Doch da waren auch immer noch die anderen: Wir. Wir, die freiwillig ihre Stundenpläne mit 30 Semesterwochenstunden vollstopften und jeden Kurs begierig aufsogen wie ein Schwamm. Wir, die das Studium so schnell und erfolgreich absolvierten, wie irgend möglich und jede freie Minute mit Aushilfsjobs auf Ausgrabungen oder unbezahlten Praktika im Museum zubrachten. Semesterferien? Nur was für Weicheier! Wir, die einen glänzenden Abschluss machten, nachdem wir eine Magisterarbeit im Umfang einer besseren Dissertation verfasst und mehrere tausend Funde von unzähligen Hektar großen Fundstellen bearbeitet hatten. Wir, die versuchten täglich mindestens 14 Stunden zu arbeiten, um die Wochenenden dazu zu nutzen, auf Tagungen mit Vorträgen zu glänzen oder Artikel für wissenschaftliche Zeitschriften zu publizieren. Wir, die neben der Doktorarbeit mit 450 €-Jobs über die Runden kamen und ganz nebenbei 80seitige Anträge erstellten, um doch noch ein begehrtes Förderstipendium für Begabte einzuwerben. Schlaf? Freizeit? Nur was für Weicheier! Wir, die eine Doktorarbeit über mehrere zehntausend Funde schrieben und versuchten, aus den 5 dafür nötigen Jahren 2,5 zu machen. Wir, die 18 Artikel in 24 Monaten schreiben, sich nebenbei als Redakteur, Lektor oder Museumspädagoge in weitere Arbeitsfelder vertieften, Nachhilfe für Bachelor-Studenten gaben, in Forschungsfeldern aktiv waren, wissenschaftliche Workshops ausrichteten, von Table Ronde zu Symposium reisten und für eine selbst finanzierte Tagungsreise in einer Weltstadt schon mal ein Monatsgehalt verprassen mussten. Wir, die sich überlegen mussten, ob sie sich eine dringend nötige Zahnbehandlung leisten könnten und an wissenschaftlichen Beiträgen tippten, während der Lebenspartner im viertägigen Jahresurlaub eben alleine am Strand spazieren gehen musste. Wir, die nach einer glänzenden Promotion natürlich bereit waren, uns zum Wohle der Forschung mit einem minimalen Posten für 1.200 € im Monat zu begnügen oder mit einem Post-Doc-Projekt für 1.600 €.
Wir waren die Idealisten, die Harten, die Leidensfähigen, die Fanatiker! Das war mein Bild von einer wenig perfekten, doch funktionierenden Archäologie.
Schließlich ging es doch immer weiter: Zur Not eben mit einem Minijob, um die akademischen Studien am Leben zu erhalten. Doch dann kamen plötzlich der Einbruch und die Streichung zahlloser Förderlinien, Stipendien und Drittmittelgeber und die Unart der 1-Monatsverträge griff um sich. Und wenn man in einem Monat oder auch mehreren eben einmal nicht gebraucht wurde? Nun dann müsse man seine Eltern oder Partner bitten, für Miete und Leben aufzukommen wie ein unmündiger 16jähriger. Man hatte dieses Leben als Wissenschaftler an der Armutsgrenze schließlich selbst gewählt, also dürfe man sich doch bitte nicht beschweren!
Zurück blieb der harte Kern: Wir. Wir, die trotz allem weitermachten. Für die Wissenschaft, für das, was wir schon erreicht hatten.
Enttäuschungen und Desillusionierungen
Doch dann bekam mein ach so schönes Bild gleich mehrere Risse!
Gleich in meinem ersten Jahr als Doktorand erfuhr ich, dass der vielversprechendste, schnellste, einer der besten meines Magister-Jahrgangs mit einem ausgezeichneten Abschluss und einer aussichtsreichen Zukunft in der Wissenschaft schließlich der archäologischen Forschung den Rücken gekehrt hatte. Schon in den Seminaren hatte ich sein Wissen und seine Eloquenz bewundert. Seine Fähigkeit zu Synthese und absolut logischem Denken gepaart mit Hingabe hatten mir imponiert… und dann? Dann hatte er schlicht und einfach keine Lust mehr.
Der nächste große Riss in meinem Bild entstand, als ich in meinem zweiten Jahr als Doktorand einen früheren Kommilitonen auf dem Campus traf. Er war immer einem anderen archäologischen Fachgebiet gefolgt als dem meinen, doch mit ebenfalls ausgezeichneten Ergebnissen. Glänzender Abschluss, Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Institut, aussichtsreiches Promotionsvorhaben. Doch an diesem schmuddeligen Wintermorgen stand er mir im Schneeregen gegenüber und erklärte, dies sei sein letzter Arbeitstag an der Universität, die er ohne abgeschlossene Promotion verlassen werde. Seine Stelle war nicht verlängert worden und damit endete auch jegliche ideelle Förderung, sofern sie jemals existiert hatte.
Doch dies ist nur die oft bemühte sprichwörtliche Spitze des Eisbergs – zahlreiche meiner übrigen Mitstreiter werden in diesem Jahr die Archäologie in Richtung eines gänzlich anderen Berufes verlassen – mit oder ohne abgeschlossene Promotion. Schuld ist die desolate materielle aber besonders die oftmals vollkommen desaströse ideelle Situation der archäologischen Forschung in Deutschland, so sie noch existiert.
Und plötzlich waren wir dann alle mal weg…
Das macht Angst – auch vor der Zukunft des kulturellen Erbes der Menschheit und Angst vor dem Weg, den die wissenschaftliche archäologische Forschung in Deutschland beschreitet. Ein Weg, der möglicherweise bald an einem toten Ende anlangt.
@Lesenswert zum Thema: Alina Beyer/Thimo Jacob Brestel/Silke Krause, Die Situation von Promovierenden in den archäologischen Wissenschaften im deutschsprachigen Raum (2015).
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