Hannah Laurenz nimmt in Ihrem zweiten Gastbeitrag Stipendien in der Archäologie aufs Korn! An und für sich sind Stipendien zur Finanzierung wissenschaftlicher Arbeiten etwas ganz großartiges. Sie geben besonders Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit zu überleben, während sie im Dienste der Archäologie oftmals monströse Forschungsarbeiten erstellen.
von Hannah Laurenz
Ich war selbst Stipendiatin und freute mich unbändig, als nach mehrmonatigen, zermürbenden und arbeitsintensiven Bewerbungsverfahren der Anruf mit der Zusage kam. War es doch eine nervenaufreibende Zeit gewesen – die vielen bis zu 80seitigen Anträge, die Abstracts, die Esposés und Bibliografien, die unzähligen Arbeits- und Zeitpläne, die es zu erstellen und die Gutachter, derer habhaft zu werden es galt. Und schließlich das Finale oder gelegentlich doch eher die Sterbeszene: Die Auswahlgespräche. Oft wurde man an einem Freitag mittags davon in Kenntnis gesetzt, dass man am folgenden Montag oder Dienstag zu einem solchen Auswahlgespräch zu erscheinen habe. Es wurde vorausgesetzt, dass man bereit stünde und die Kurzfristigkeit keinerlei Probleme bereitete. Hektisch ließ man also alles stehen und liegen, und versuchte verzweifelt noch eine Vertretung für den Aushilfsjob zu finden – man wollte diese Chance doch keinesfalls verstreichen lassen! Während man in aller Eile Züge und Busverbindungen für die Anreise zu dem Gespräch buchte, schielte man amüsiert auf die Zeile in der Einladung, in der es hieß: „Wir bemühen uns, lange Anfahrtswege zu vermeiden…“ Nun, was ist schon lang? 10 Stunden Reisezeit konnten mich jedenfalls nicht aufhalten.
Die Hoffnung – das Stipendium ist bewilligt!
Und endlich, endlich war dann die Zusage für das Stipendium da! Als dieser Moment in meiner Laufbahn gekommen war, war die Freude riesengroß! Sofort intensivierte ich meine wissenschaftlichen Bemühungen noch weiter – aus den 50 wöchentlichen Arbeitsstunden wurden schnell 70. Hatte ich doch eine Chance erhalten, nach der sich hunderte anderer Nachwuchsarchäologen die Finge leckten! Nie habe ich diesen Schritt bereut – erlaubte mit die 2jährige Förderung doch, eine wissenschaftliche Arbeit zu erstellen und meine Forschungshypothesen zu prüfen, während ich geduldig mehr als 50.000 Funde bearbeitete.
Doch zurück zu den Stipendien: Ein Stipendium beispielsweise für eine Promotion ist in der Archäologie in Deutschland mit bis zu 1.300 € monatlich dotiert. Zunächst klingt dies ausgesprochen verlockend, bewahrt es doch davor, neben der wissenschaftlichen Arbeit Burger in einer beliebigen Fastfood-Kette zu wenden, Dosen in einer Supermarkt-Filiale zu stapeln oder gelangweilten Kunden Schuhe zu verkaufen.
Zweifel und Ärger trotz Stipendien
Auf den zweiten Blick lässt die Verlockung des Stipendiums bereits nach: Bis zu 1.300 €… aber keine Krankenversicherung, keine Sozialversicherung, kein Krankengeld, kein Anspruch auf Urlaub. Wie kann das sein im Land des Mindestlohns und der großen sozialen Gerechtigkeit? Nun – arbeitsrechtlich ist hier alles in allerbester Ordnung! Denn mit einem Stipendium wird kein Arbeitsverhältnis gegründet – und schon sind Mindestlohn und 42h-Woche sowie alle Errungenschaften des Arbeitsrechtes vom Tisch gefegt.
Spätesten auf den dritten Blick stehen einem endgültig alle Haare zu Berge: Keine Fahrtkostenübernahme, keine Sachmittel, Reisekosten – beispielsweise zu den Tagungen, auf denen man seine Vorträge hält – sind selbstverständlich vom Stipendiaten selbst zu tragen: Alles in allem Konditionen, die jedem einfachen Arbeitnehmer als eine bodenlose Unverschämtheit erscheinen.
Uns Nachwuchswissenschaftler schreckt so etwas keineswegs ab – auch der Hinweis, dass wir bei mindestens 50 Wochenarbeitsstunden nicht einmal in die Nähe des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns gelangen, entlockt uns nur ein müdes Achselzucken. Denn wir sind ja keine Arbeitnehmer, wir sind Stipendiaten! Wir müssen froh sein, dass man uns überhaupt bezahlt! Da können wir doch nicht noch Forderungen stellen!
Doch können wir das wirklich nicht? Und die weit prekärere Frage: Sollten wir das wirklich nicht?
Schließlich produzieren die Nachwuchswissenschaftler nachweislich einen Großteil der Forschungserkenntnisse und schaufeln bergeweise die Arbeit für Universitäten, Museen und Denkmalpflege weg. Gleich, ob wir nun Forderungen stellen könnten oder sollten – Fakt ist: Wir tun es nicht! Weil wir Angst haben um unser bisschen Geld und davor, als Querulanten verschrien zu sein. Wir halten aus, bis die Arbeit getan ist und wir samt unserem Abschlussbericht fristgerecht vor die Tür gekehrt werden. Wir haben unsere Schuldigkeit getan und machen Platz für eine neue Generation Nachwuchswissenschaftler, die ebenso vom gelobten „Stipendienland“ träumen, wie einst wir.
Ebenfalls sehr lesenswert: Wer, wenn nicht wir? Der Exodus der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland.