Unter Hökern – Der Flohmarkt von Köln

Zu Ostern habe ich mich auf den Flohmarkt gewagt. Hier bin ich Verkäuferin und – wenn es die Zeit zulässt – scheue Beobachterin. Als Archäologin sieht man die Dinge und die Geschichten um sie herum aus einer ganz eigenen Perspektive.

von Claire Puce

Flohmarkt

Flohmarkt in Köln-Riehl

Der Altar meiner verdinglichten Erinnerungen ist heute ein wenig sperrig: Mein Tapeziertisch! – auf dem sich nie eine Tapete auch nur einem aufdringlichen Kleister hingab! Nur widerwillig lassen sich seine Alu-Verbindungsrohre durch die Kunststoff-Muffen zusammenhalten. „Metall, Uhren, Schmuck?“, schallt es aus rauer Kehle. Bin ich gemeint? „Erstmal zusammenbauen…und Kaffee trinken…komm später nochmal“, antworte ich zum fünften oder sechsten Mal.

Als Archäologin auf dem Flohmarkt

Flohmarkt. Früher hielten sich hier auch „Arbeitsscheue“ auf, die zu Gelegenheitsarbeiten angeworben wurden. Arbeitsscheu – dabei ungeheuerlich effizient – bin auch ich, zumindest heute – und wir haben unseren eigenen Stand auf diesem Tummelplatz. Als Archäologin begegne ich den Dingen im Boden, auf Deponien, unter Fundamenten oder in Museen. Aber es hat schon seine ganz eigene auratische Wirkung, wenn und wie sie am Flohmarktstand auftauchen…

Geschafft! Ich gleite gemächlich in die Tiefen meines Camping-Stuhls; vielleicht etwas zu tief: Mein umherschweifender Blick bleibt immer wieder an der Wipfeln der von mir abgefallenen, ohne mich sprachlosen Dinge hängen: ein Videogerät, die Bonner Jahrbücher, ein hölzernes Hühnerspiel, indonesische Espressotassen, eine lederne Fossil-Damentasche…kontrastiert von getriebenen Sinti oder Roma und Buntmetalldieben vor unscharfem Hintergrund: „…Was immer heut‘ noch häufig ist, wird morgen schon selten – Buntmetalldiebe. Irgendwann wird selbst das Geld noch eingeschmolzen. Hat mehr Wert dann als noch draufsteht – Buntmetalldiebe“, säuselt Blixa mir ins Ohr.

Gewiss! Den Weg der Dinge, ihre neuen Beziehungszusammenhänge bzw. -geschichten, ihren Bedeutungswandel zu ergründen: Das ist meine Leidenschaft! Es liegt ein großer Reiz darin, die Melange aus Auratisierung, Nostalgie und Geschäft durch ein wechselndes Arrangement der Objekte auf dem Tapeziertisch durcheinander zu wirbeln und neue Aussagezusammenhänge zu erzeugen – zuletzt steckt ein Plüschpony kopfüber in der engen Mündung einer floral verzierten Art Nouveau Porzellan Vase. Ich habe vergessen, wie dieses unbezahlbare – und unverkäufliche – Gefäß in meinen Besitz gelangte…zu dem Pony vielleicht ein andermal.

Von Erinnerungen und Vergessen

Ein älterer Mann, Jahrgang 1929, wie er mir gleich versichern wird, spricht mich unvermittelt an. „Sie sind doch bestimmt Claire? Sie sind Archäologin“. Ich bin zunächst verblüfft. Woher kennt er meinen Namen? „Ach das tut hier nichts zur Sache“ und „den Professor Eck kenne ich persönlich“. Der ist Althistoriker, denke ich. Wo ist jetzt die Verbindung? Bevor ich das ergründen kann, verabschiedet er sich auch schon selbstvergessen, hinterlässt seine Adresse und Telefonnummer. Ich möchte ihm doch bitte das aktuelle Denkmalschutzgesetz für Nordrhein-Westfalen zusenden, er werde sich bestimmt mit einer Buchgabe als dankbar erweisen.

 

Flohmarkt

Am Flohmarktstand

Noch leicht verwirrt mache ich mich selbst auf die Jagd vorbei an zertifikatlosen Antiquitäten und unzähligen Schallplatten in die Jugendzeit des älteren Mannes, Jahrgang 1929. „Ich lasse Ihnen beide Bücher für zwei Euro“, spricht mich der Hipster-Höker behände an. Ich blättere die ersten Seiten von Harry Mulischs „Siegfried“ und halte die “Archäologischen Kriegsrelikte im Rheinland” eng umklammert, beide verfangen im engmaschigen Netz meiner Neugierde. Am Ende: keine emotional motivierte Kaufentscheidung, die meinen ohnehin schon erbärmlichen “Lohn” noch weiter schmelzen lässt. Mindestlohn 8,50 €…hmm…120 € Gewinn minus 40 € Standgebühren geteilt durch 2 geteilt durch 7 Stunden ergibt einen Stundenlohn von 5,71 € für jede. Noch Fragen? Aber wer denkt schon an Gewinne in Zeiten des Gedächtnisses an die Auferstehung Jesu Christi?

Der Floh wechselt den Wirt, was nimmt er mit und was erzählt er uns? Ist es das alte Spiel um Erinnerung und Vergessen? Alte Objekte verlieren ihren originären funktionalen Wert und gewinnen „mythologische Nutzhaftigkeit“. Ist in ihnen das gespeichert, was menschliche Existenz ausmacht – die Erinnerung?

Aber ach, suche nicht hier nach den Antworten, denn “…die Chiffonniers und Revendeuses sind ein bissiges Volk!”

 

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